Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner sieht auch in Deutschland zunehmend radikale Kräfte, die die Demokratie gefährden (Foto: WEIMER MEDIA GROUP).

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Ilse Aigner: „Krisen sind Beschleuniger für Fragezeichen hinter der Demokratie“

Fünf junge Menschen und die Präsidentin des Bayerischen Landtags: Sie standen gemeinsam beim Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee auf der Bühne, um für die Demokratie zu werben. Das Format „(D)eine Minute für die Demokratie“ des Wertebündnisses Bayern zeigte Sorgen und Wünsche der Redner gleichermaßen auf. Im Interview spricht Landtagspräsidentin Ilse Aigner über radikale Kräfte in der Demokratie und wichtige Werte für die Gesellschaft.
 
Das Wertebündnis Bayern ist ein bundesweit einmaliges Modell, um Werteorientierung und Wertebildung bei jungen Menschen zu fördern. Was wurde seit der Gründung 2010 erreicht?
 
Ilse Aigner: Es engagieren sich viele Verbände und Organisationen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft im Wertebündnis, weil viele festgestellt haben, dass die Werte, die uns vereinen – also Freiheitsrechte, Demokratie und Zusammenhalt – alles andere als selbstverständlich sind und dass wir uns gemeinsam für diese Werte einsetzen müssen. Das macht das Wertebündnis. Und das unterstütze ich mit voller Kraft.
 
Das Bündnis setzt inzwischen auf mehr als 200 Bündnispartner. Über Projekte für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene macht die Initiative Werte erlebbar. Auf welchen Werten liegt der Fokus?

 
Bei uns steht der Mensch mit all seiner Individualität, mit all seiner Unterschiedlichkeit im Mittelpunkt. Es geht darum, dass die Menschen, die bei uns leben, überhaupt ihre eigenen Stärken in unserem Land entfalten können. Das Zweite sind ganz viele Freiheitsmöglichkeiten, die wir haben: freie Berufswahl, Pressefreiheit, Reisefreiheit – alles, was man sich vorstellen kann. Das sind allesamt Werte,  die wir unterstützen müssen, da sie häufiger hinterfragt werden und manchmal auch gefährdet sind. Was mir persönlich sehr wichtig ist, ist die freie Meinungsäußerung. Nicht alles, was gesagt wird, gefällt mir, aber solange es im Rahmen ist, muss es möglich sein. Gerade in vielen anderen Ländern sieht man, dass das keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Und deshalb müssen wir dafür kämpfen.
 
Allein die Lage im Iran zeigt, in welch glücklicher Situation wir uns eigentlich befinden.

 
Ja, oder schauen Sie nach Russland. Dort dürfen selbst die Medien nicht sagen, dass es ein Krieg ist, sondern eine „militärische Spezialoperation“, oder Menschen werden weggesperrt wie Alexej Nawalny. Ob im Iran, in Russland oder in leider zu vielen anderen Ländern wird die Freiheit der Menschen mit Füßen getreten. Umso wichtiger ist es mir, dass wir unsere Demokratie stark halten. Dass wir uns klarmachen, sie ist Gabe und Aufgabe zugleich.
 
In „(D)eine Minute für die Demokratie“ hingegen durften junge Menschen auf der Bühne ihre Meinung sagen: Jeweils eine Minute lang haben sie ihre Ideen und Gedanken zum demokratischen Miteinander präsentiert und das mit Appellen an Politik, Gesellschaft und Wirtschaft verbunden.
 
„(D)eine Minute für die Demokratie“ ist bereits zwei Mal im Bayerischen Landtag vertreten gewesen. Ich möchte, dass sich die jungen Menschen damit auseinandersetzen, dass die Demokratie die Grundlage für unser Zusammenleben ist und doch für viele Menschen zu selbstverständlich ist. Das Tolle an dem Projekt: Junge Menschen bringen in einer Minute auf den Punkt, was ihnen persönlich wichtig ist für die Demokratie.
 
Was ist die häufigste Forderung?
 
Wir Abgeordneten sind ja nicht nur Vertreterinnen und Vertreter von Erwachsenen, sondern für alle – auch für Kinder und Jugendliche. Und deshalb bieten solche Gelegenheiten, wo man den jungen Menschen eine Bühne gibt und ihnen zuhört, wertvolle Perspektivwechsel, die gerade für die Politik wichtig sind. Das ist meines Erachtens eine der großen Forderungen: gesehen und gehört zu werden.
 
Offensichtlich scheint eine Werbetour für das demokratische Miteinander nötig. Sie sagen, dass sie sich „über die radikalen Kräfte in den Parlamenten sorgen, die die Demokratie mit Hohn und Spott von innen destabilisieren“ und über „Proteste auf der Straße, bei denen sich Extreme von links und rechts vereinigen, einig in der Ablehnung uns leitender Werte“. Ist es so schlecht um die Demokratie in Deutschland bestellt?
 
Die Gesellschaft ist nicht gespalten, aber es gibt Abspaltungstendenzen in Form einer Minderheit, die auch noch relativ laut ist und prominent versucht, sich in Szene zu setzen. Das verstellt ein bisschen den Blick, dass die breite Mehrheit der Bevölkerung sehr wohl in der politischen Mitte und in der Demokratie beheimatet ist. Trotzdem gilt es für diese Mitte, sich im Zweifelsfall zur Wehr zu setzen. Wenn es so Extremfälle gibt wie die Reichsbürger, die meinen die Demokratie aus den Angeln heben zu müssen, auch mit Waffengewalt, dann ist das völlig inakzeptabel. Auf der anderen Seite geht es auch nicht, wenn man sich auf dem Boden festklebt und meint, sich über die Gesetze zu stellen, weil einem manches an der Demokratie nicht gefällt. Ich kann nachvollziehen, dass manches einfach langwierig ist für viele Menschen. Aber der große Wert einer Demokratie ist: Wenn ich eine andere Meinung habe, darf ich sie sagen und kann freie Abgeordnete wählen, die meine Interessen im Parlament vertreten. Und das Parlament ist dann der Ort der Debatte und Entscheidung.
 
Sie ärgern sich auch über ausfällige Abgeordnete und planen für diese eine Geldstrafe. In der laufenden Legislatur hat das Landtagspräsidium bisher 24 Rügen aussprechen müssen. Wie hoch sollte die Strafe ausfallen? Wie ist das weitere Prozedere?
 
Ich lasse das prüfen. Ich habe den Eindruck, dass Rügen in Teilen nicht ernst genug genommen werden. Um es greifbar zu machen: Wenn in der Kabine des FC Bayern der eine Spieler dem anderen Spieler eine schmiert, wie man in Bayern sagt, dann geht’s auch richtig an den Geldbeutel. Und wenn auf den heiligen Brettern der Demokratie der eine Abgeordnete dem anderen verbal eine Watschn gibt, sollten wir auch finanzielle Sanktionen haben. Eine Ohrfeige für die Demokratie braucht eine wirksame Reaktion.
 
Seit wann besteht das Radikalisierungsproblem Ihrer Meinung nach? Und wodurch wird es begünstigt?

 
Unterschiedlichste Krisen haben das befeuert: die Finanzkrise, die Migrationsdebatten, die Auseinandersetzungen um den Klimawandel, die Corona-Pandemie und dann der schreckliche Angriffskrieg auf die Ukraine. Für viele Menschen sind es auch Themen wie die Inflation oder die Sorge um den Arbeitsplatz. Solche Krisen sind Beschleuniger für Fragezeichen hinter der Demokratie. Ich bin aber genau der gegenteiligen Meinung: Gerade in der Krise zeigt sich die Stärke unserer Demokratie.
 
Sie haben auf der Bühne zum Ausdruck gebracht, dass dies auch eine Chance für die Demokratie sein kann. Was kann die Politik leisten, um entgegenzuwirken? Die radikalen Kräfte und Demokratie-Gegner erreicht man über Argumente ja in der Regel nicht.
 
Mir ist es ein Anliegen, um jeden und jede zu kämpfen, um sie für unsere Demokratie zu gewinnen. Zugleich gibt es Menschen, die sich in ihrer eigenen Blase abgeschottet haben. Mir geht es darum, dass nicht immer mehr in diese Richtung abdriften. Und deshalb heißt es, den Austausch zu suchen, zu erklären, bei den Menschen zu sein. Das war gerade während Corona die große Schwierigkeit für Politik, weil es zu unserem Kerngeschäft gehört, mit den Leuten zu reden und ihre Anliegen aufzunehmen. Es ist eines der wichtigsten Themen, mit den Menschen direkt ins Gespräch zu kommen.
 
Gibt es Ansätze, wie man das konkret umsetzt?
 
Wir versuchen das gerade. Wir haben einen Landtruck auf den Weg gebracht und gehen in ganz Bayern auf die Dorf- und Stadtplätze, um mit den Abgeordneten der Region ein Gesprächsangebot an die Bürgerinnen und Bürger zu machen. Aber wir machen nach der Pandemie nun auch das Maximilianeum als Sitz des Bayerischen Landtags wieder zum offenen Haus und haben jährlich tausende Menschen bei uns zu Besuch. Wir feiern die Demokratie mit unterschiedlichen Formaten, unter anderem „die Orte der Demokratie“, die wir in ganz Bayern auszeichnen, um die vielen Stationen unserer Demokratiegeschichte sichtbar zu machen. Auch das Format „(D)eine Minute für die Demokratie“ wird fortgesetzt. Wir gehen jedes Jahr wieder mit der Demokratie auf Achse, auch mit dem Wertebündnis Bayern. Mir ist es wichtig zu zeigen: Unsere parlamentarische Demokratie hat trotz politisch stürmischer Zeiten eine beispiellose Erfolgsgeschichte für Bayern und die Bürgerinnen und Bürger geschrieben. Daran will ich als Landtagspräsidentin auch nach den Wahlen gerne mitarbeiten, wenn ich die Unterstützung dafür habe. Es gibt viel zu tun für eine Zukunft in Demokratie und Freiheit!
 
Das Interview führte Vera König.
 

16.05.2023 | 10:30

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